Berlin braucht eine ehrliche Strategie gegen die Drogenkrise

Berlin braucht eine ehrliche Strategie gegen die Drogenkrise

Antrag

04.05.2024

Berlin braucht eine ehrliche Strategie gegen die Drogenkrise

Berlin steuert ungebremst auf eine unkontrollierbare Drogenkrise zu. Die massive Zunahme des Crack-Konsums im öffentlichen Raum, steigende Drogentoten-Zahlen und erste Funde von Fentanyl sind ein Warnsignal, das wir nicht länger ignorieren dürfen. Es geht um Menschenleben – und um die Verantwortung des Staates, Hilfe zu leisten statt zuzusehen.

Mir war klar: Wir brauchen einen klaren politischen Beschluss, der das Thema auf Landesebene ernsthaft adressiert und Druck auf den Senat macht. Deshalb habe ich den folgenden Antrag verfasst, über die Landesarbeitsgemeinschaft Gesundheit & Soziales in den Landesparteitag von Bündnis 90/Die Grünen Berlin eingebracht – und wir haben ihn dort erfolgreich beschlossen.

Damit liegt nun eine klare grüne Position vor: Berlin muss eine umfassende, ehrliche und bedarfsgerechte Strategie im Umgang mit Abhängigkeit, Crack-Konsum und Suchthilfe entwickeln.

Beschluss des Landesparteitags

Berlin steuert ungebremst auf eine unkontrollierbare Drogenkrise zu. Alleine die Zunahme des Crack-Konsums im öffentlichen Raum ist der Beweis, dass wir Abhängige in vielen Teilen der Stadt ihrem eigenen Schicksal überlassen. Die Zahl der Drogentoten steigt Jahr für Jahr weiter an und erste Funde von Fentanyl sind ein alarmierendes Signal, das nicht ignoriert werden darf. Die Herausforderungen im Bereich der Prävention, Suchtberatung und -hilfe sowie der Schadensminimierung sind enorm und erfordern dringende strukturelle Maßnahmen. Menschen, die in Abhängigkeiten geraten, brauchen Hilfe und benötigen dafür eine Infrastruktur, die sie dabei unterstützt und befähigt, das Konsumverhalten zu verändern.

Als Bündnis 90/Die Grünen Berlin fordern wir, dass die Unterstützung und Hilfe für Betroffene bedarfsgerecht und strukturell verstärkt wird. Berlin hat bereits eine vielfältige und professionelle Hilfelandschaft, die jedoch für die aktuellen Herausforderungen strukturell unterfinanziert ist. Es braucht eine ehrliche Analyse der Kapazitäten und damit einhergehend eine Bedarfsplanung als auch eine solide finanzielle Grundlage für die Angebote, um sicherzustellen, dass die Einrichtungen der Suchthilfe ihre wichtige Arbeit fortsetzen und ausbauen können. Die Entwicklung einer Landesstrategie „Drogen und Sucht“ muss daher an den tatsächlichen stadtweiten Bedarfen ausgerichtet werden. Wir stehen für eine Politik, die sich um diejenigen kümmert, die von Abhängigkeiten betroffen sind und wir setzen uns für eine Ausweitung vor allem niedrigschwelliger Maßnahmen zur Unterstützung dieser Menschen ein. Bereits heute besteht ein Hauptproblem darin, dass Angebote sowohl aufgrund tatsächlicher als auch rechtlicher Hürden nicht alle Betroffenen erreicht. Insbesondere der Zugang für Menschen ohne Zugang zur Krankenversicherung ist unzureichend und verstärkt die Problematik der Verelendung im öffentlichen Raum und unterläuft das Ziel eines effektiven Gesundheitsschutzes. Der Zugang zur Suchthilfe darf nicht bei Beratungen oder schadensminimierendem Konsum enden, Entgiftungen, Substitutionsprogramme und Suchttherapien sind maßgeblich für nachhaltige Erfolge.

Die derzeit laufenden Verhandlungen auf Landesebene über Einsparvorgaben auch im Gesundheitsbereich würden die Suchthilfe massiv treffen. Bereits jetzt drohen Kürzungen bei bestehenden Angeboten, unbesetzte Stellen dürfen nicht nachbesetzt werden, was einer faktischen Angebotskürzung gleichkommt. Wir fordern daher eine verbindliche Zusage des Senats, die Finanzierung der Suchthilfeträger in Berlin langfristig sicherzustellen und auszubauen. Dies umfasst eine angemessene Finanzausstattung, um eine kontinuierliche, bedarfsgerechte und qualitativ hochwertige Unterstützung der Betroffenen zu gewährleisten. Die gesundheitlichen und sozialen Maßnahmen müssen ineinandergreifen, die zugesagten Mittel aus dem Sicherheitsgipfel mit einem Schwerpunkt für niedrigschwellige und aufsuchende Angebote verausgabt und verstetigt werden. Dem Abbau von Substitutions- und Therapiemöglichkeiten muss konsequent entgegengewirkt werden.

Neben dem Problem der finanziellen Sicherheit gefährdet insbesondere die angespannte Situation auf dem Gewerberaummarkt die Zukunft von etablierten Angeboten der Suchthilfe. Dabei ist der Senat in der Verantwortung bei der Suche nach Räumlichkeiten und deren Finanzierung zu unterstützen. Es ist unumgänglich, dass die finanziellen Mittel langfristig gesichert werden, um den Einrichtungen Planungssicherheit zu geben und ihre Arbeit zu ermöglichen.

Es müssen Maßnahmen entwickelt und sektorenübergreifend implementiert werden, die auf die besonderen Bedürfnisse der Menschen zugeschnitten sind, die von Abhängigkeiten betroffen sind. Dabei müssen auch die lokalen Besonderheiten und Herausforderungen berücksichtigt werden, um eine effektive Hilfe vor Ort und durch aufsuchende Suchtarbeit zu gewährleisten. Wir möchten betonen, dass wir die Berücksichtigung von Fachexpertisen unterstützen, die die Erforschung von Möglichkeiten medikamentöser Therapieansätze in Kombination mit psychosozialen Angeboten vorschlagen. Auch der Einsatz von Arzneistoffen wie Methadon, Naloxon, Naltrexon, Buprenorphin und weitere muss in der Substitutionstherapie bei opioidbedingten Abhängigkeiten in der Breite unterstützt und zugänglicher gestaltet werden. Es ist wichtig, dass die Maßnahmen den individuellen Bedürfnissen der Betroffenen gerecht werden und eine ganzheitliche Unterstützung bieten.

Eine besondere Herausforderung entsteht durch die massive Zunahme des problematischen Crack-Konsums. Die entstehenden Konflikte im öffentlichen Raum sind besonders am Leopoldplatz oder um den Görlitzer Park sichtbar, doch die Problematik geht weit über den Wedding, Kreuzberg oder Neukölln hinaus. Crack treibt Menschen in schwere Abhängigkeiten und birgt ein hohes Verelendungsrisiko, gleichzeitig ist die Droge mittlerweile leicht und billig verfügbar. Crack-Abhängige leiden unter einem enorm hohen Konsumdruck, richten ihren Alltag auf die Beschaffung der Droge aus und verlieren in kürzester Zeit ihre Alltagsgrundlage. Das Suchthilfesystem muss sich an diese Herausforderungen anpassen können; insbesondere in Drogenkonsumräumen und durch niedrigschwellige Suchthilfe gilt es die Menschen aus dieser Abwärtsspirale rauszuholen. Bisher stehen für diese Problematik nachhaltige, soziale und gesundheitliche Ansätze am Anfang. Vor diesem Problem stehen mittlerweile fast alle deutsche Großstädte. Zentral ist daher nicht nur eine effektive Zusammenarbeit von Senat mit Bezirken, sondern es muss eine europaweite Vernetzung stattfinden und die Ergebnisse der EMCDDDA (europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht) berücksichtigen. Der Berliner Senat soll sich beim Bundesgesundheitsministerium für ein Modellprojekt einsetzen, in dem betroffene Städte und Kommunen gezielte Angebote erproben, best practice Erfahrungen im Umgang mit Crack und der Behandlung schnell austauschen, zusammenführen und weiterentwickeln. Auf dieser Grundlage können zielführend Anpassungsbedarfe ermittelt werden, um eine nachhaltige Strategie gegen Crackkonsum zu entwickeln.

Es ist wichtig, dass die Maßnahmen den individuellen Bedürfnissen der Betroffenen gerecht werden und eine ganzheitliche Unterstützung bieten.

Wir wollen eine transparente und partizipative Entscheidungsfindung bei der Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen im Bereich der Suchthilfe. Die Einrichtungen der Drogen- und Suchthilfe, Forschung, Fachkräfte und Betroffene sollten aktiv in den Entscheidungsprozess einbezogen werden, um sicherzustellen, dass die Maßnahmen den tatsächlichen Bedürfnissen entsprechen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Menschen, die von den Maßnahmen betroffen sind, eine Stimme haben und aktiv an der Gestaltung der Lösungen mitwirken können.

Meine Einordnung

Mit diesem Beschluss haben wir Grünen in Berlin ein wichtiges Signal gesetzt: Wegsehen ist keine Politik.

  • Wir können nicht länger akzeptieren, dass Crack-Abhängige in Berlin in öffentlicher Verelendung landen, ohne dass es ausreichende Hilfsangebote gibt.

  • Wir können nicht länger hinnehmen, dass Suchthilfeträger um ihre Existenz fürchten, weil Mittel gekürzt oder nicht verstetigt werden.

  • Und wir dürfen nicht länger zulassen, dass ausgerechnet die Schwächsten im System – Menschen ohne Krankenversicherung oder mit massiven psychischen Belastungen – durch jede Lücke im Hilfesystem fallen.

Die Berliner Suchthilfe ist fachlich stark, aber strukturell unterfinanziert. Das hat Folgen: zu wenig Drogenkonsumräume, zu wenig aufsuchende Arbeit, zu wenige Therapieplätze. Wenn dann noch Kürzungen drohen, reden wir nicht mehr über Fortschritte, sondern über Rückschritte – mitten in einer Krise.

Dieser Beschluss fordert vom Senat, sich seiner Verantwortung zu stellen und eine Landesstrategie „Drogen und Sucht“ auf den Weg zu bringen. Eine Strategie, die sich nicht an kurzfristigen Schlagzeilen, sondern an realen Bedarfen orientiert. Und er macht klar: Wir Grünen stellen uns an die Seite derjenigen, die Hilfe brauchen – und derjenigen, die in der Suchthilfe täglich Herausragendes leisten.

Berlin darf nicht weiter warten. Wir müssen jetzt handeln, bevor die Krise eskaliert.